Cover
Titel
Gotthelf. Leben, Werk und Wirkung von Albert Bitzius


Herausgeber
Schütz, Gerhard
Erschienen
Oberhofen am Thunersee 2013: Zytglogge Verlag
Anzahl Seiten
156 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Lukas Boser, Section d'histoire, Université de Lausanne

Kaum ein Autor der deutschsprachigen Literatur sei so populär geworden und geblieben wie Jeremias Gotthelf, stellt Gerhard Schütz gleich zu Beginn seines Buches über den Pfarrer und Autor Albert Bitzius – der sich hinter dem nom de plume Jeremias Gotthelf verbirgt – fest. Will man diese Popularität in Zahlen messen, dann lohnt sich beispielsweise ein Blick in Swissbib, den Metakatalog der Schweizer Hochschulbibliotheken und der Schweizerischen Nationalbibliothek. Eine kurze Recherche nach dem Titelstichwort «Gotthelf» fördert Interessantes zutage: In den letzten zwanzig Jahren erschienen regelmässig zwischen 20 und 40 Titel, in einzelnen Jahren deutlich mehr. Gesamthaft sind es nicht weniger als 741 Titel. Ein Buch, das aus dieser Masse hervorstechen will, muss schon besondere Qualität aufweisen. Ob das vorliegende Werk diese Qualität hat, wird im Folgenden zu diskutieren sein.

Das Buch mit dem Titel Gotthelf. Leben, Werk und Wirkung von Albert Bitzius ist sowohl Text- als auch Bildband, wie Schütz im Geleitwort festhält. Tatsächlich enthält es neben Texten viele Bilder, Fotografien (die meisten von Schütz selbst aufgenommen) und Zitate, die mehr als nur zur Illustration dienen. Das Buch ist eingeteilt in zwölf Kapitel, die sich mit der Person Gotthelf / Bitzius und dessen Werk (den Texten, dem historischen Kontext, der Rezeption, der filmischen Bearbeitung und der gegenwärtigen Auseinandersetzung) beschäftigen. Bereits die Titel der Kapitel lassen erahnen, wie breit das Themenspektrum ist: 1. Mensch und Werk im [Gotthelf-]Zentrum; 2. Leben, Schreiben, Wirken; 3. Der Zeitkritiker; 4. Der Theologe und Pfarrer; 5. Gotthelf und die Musik; 6. Die historisch-kritische Gesamtausgabe; 7. Gotthelf neu lesen; 8. Werk und Wirkung; 9. Wirkungen und Nebenwirkungen; 10. Der Gefeierte 1954, 1997, 2004; 11. Leben und Werk im Zeitkontext; 12. Bücher von, um und über Gotthelf. Die Kapitel enthalten Texte von verschiedenen Autorinnen und Autoren.

Das Bild von Gotthelf, welches die Autorinnen und Autoren zeichnen, ist sehr differenziert. Bei Julian Schütt beispielsweise ist er ein wütender Mann. «Doch Gotthelf gehört, wiederum wie Frisch und Meienberg, zu den Autoren, für die es ohne Wut keine Wahrheit gibt.» (S. 37) Bei E.Y. Meyer und Walter Muschg ist er ein Prophet. «Mit dem ihm eigenen Scharfblick sah dieser Mann schon früh, vielleicht als einer der Ersten, die Schattenseite der Aufklärung […] und er erkannte bereits die geistige Tragweite der Entwicklung sowohl des Liberalismus wie des Sozialismus, als deren jeweilige Endformen er einerseits die Anarchie in Form des unkontrollierten Raubrittertums des Kapitalismus und andererseits die Diktatur sowohl rechter wie linker Prägung kommen sah.» (Meyer, S. 43) «Er sieht in seinem weltabgeschiedenen Pfarrhaus Europa in den Fortschrittsrausch hineintaumeln und ahnt ungeheure Katastrophen voraus.» (Muschg, S. 126) Bei Reinhard Straumann begegnet uns ein politisch stark engagierter Mensch, der aller Verachtung der Politik gegenüber zum Trotz von selbiger nicht lassen kann oder will. «In gewissem Sinne ist Gotthelf tatsächlich ein Politiker malgré lui.» (S. 52) Stefan Bieri porträtiert den Pfarrer Bitzius. «Mit der Theologie tat sich Gotthelf bereits als Student schwer. […] Albert Bitzius ist trotzdem Pfarrer geworden.» (S. 58) In Peter von Matts Beitrag erscheint Gotthelf als Chronist der menschlichen Boshaftigkeit und Analytiker «der Herzenskälte», der «subtil […] die Praxis gemeinsamer Niedertracht» beschrieben hat (S. 96). Brigitte Bachmann-Geiser beschreibt, was Gotthelf nicht gewesen sei: ein Musikliebhaber. Zusätzlich zu diesen Studien zur Person Gotthelfs wird dessen Werk auch immer wieder als Ausgangspunkt für Lese-, Seh- und Hörerlebnisse in den Blick genommen. Und das ist nur ein Teil des facettenreichen Lebens und Werks von Gotthelf, das es in Schütz’ Buch zu entdecken gibt.

Durch diese differenzierte Form der Darstellung werden immer wieder auch interessante Gegensätze sichtbar. Während Meyer und Muschg Gotthelfs Hellsichtigkeit punkto zukünftiger Entwicklungen hervorheben, legt Straumann dar, dass er eben diese Hellsichtigkeit in zeitgenössischen Fragen vermissen liess. «Indem er die negativen Seiten des Radikalismus überhöht, verliert er jede Objektivität, welche ihn die dringende Notwendigkeit der radikalen Reformen hätte erkennen lassen können.» (S. 53 f.) Und während Staumann Gotthelf als politischen Autor porträtiert, stellt Bieri dezidiert fest, es sei nicht etwa die Politik gewesen, die Gotthelf zum Schriftsteller gemacht hätte, sondern die Religion (S. 58).

Dass Gotthelf – wie eingangs dieser Rezension angedeutet – Anlass zu dauerhafter und umfangreicher Beschäftigung mit Person und Werk gibt, deutet darauf hin, dass sich sowohl die eine wie das andere als vielschichtig und komplex darstellen. Schütz’ Buch wird dem gerecht. Man kann von diesem Buch sagen, was von Matt über Muschgs Gotthelf-Biografie aus dem Jahr 1931 schreibt: Es zwinge einen, «nachzudenken und Stellung zu nehmen» (S. 99). Obwohl mit gebührender historischer und persönlicher Distanz verfasst, erinnern die im Buch enthaltenen Texte in Sprache und Inhalt oft an Gotthelf. Sie sind zum Teil wortgewaltig (insbesondere Schütts ziemlich wilder Ritt durch Leben und Werk), aber auch scharf beobachtend und genau beschreibend. Das alles macht Schütz’ Buch noch nicht zu einem Grundlagenwerk, zu dem es im Geleitwort erklärt wird, aber es macht es äusserst lesenswert und verleiht ihm die Qualität, aus der Masse herauszustechen. Das Buch ist im besten Sinne Werbung für Gotthelfs Werke und gleichzeitig ist es auch Warnung: «Von Gotthelf kehrt keiner ohne Beulen nach Hause», sagt von Matt (S. 99) – nach der Lektüre von Schütz’ Buch ist man bereit, das Risiko einzugehen.

Zitierweise:
Lukas Boser: Schütz, Gerhard (Hrsg.): Gotthelf. Leben, Werk und Wirkung von Albert Bitzius. Oberhofen am Thunersee: Zytglogge 2013. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 77 Nr. 2, 2015, S. 81 -83.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 77 Nr. 2, 2015, S. 81 -83.

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